Igels Nacktauftritt

von Detlef Färber

Detlef Färber - Foto © Silvio Kison
Igels Nacktauftritt
 
Ein Igel ohne Stacheln hält die ganze Gegend in Atem. Und nur, weil er ausgebüxt ist. Nach einem Durchschnittsigel, der verschwindet, kräht kein Hahn. Aber mit einem Nacktauftritt macht sogar das simpelste Stacheltier von sich reden. Und sorgt für Rätselraten: Ist dieser Igel krank? Oder ein genetisches Wunderkind? Beide Varianten stehen nun - von der Igel-Fachwelt eilends beglaubigt - im Raum. Aber eine Variante hat noch keiner bedacht: Wahrscheinlich ist ja dieser Nacktigel, um dessen Überlebensfáhigkeit sich plötzlich Hinz und Kunz sorgt, ein echtes Kind seiner Zeit. Und er hat instinktiv gespürt, daß hierzulande ein Auftritt im Stachelkostüm kein opportunes Verhalten mehr ist? Auch muß ihm klargeworden sein, daß ein Einigeln nach Art seiner Vorfahren für jetzt und künftig nicht die Lösung sein darf. 
 
Deshalb hat dieser Vorort-Igel offenbar von sich aus abgerüstet: einseitig. Und statt zu stacheln, zeigt er nun demonstrativ seine Verletzlichkeit. Er setzt auf Offenheit statt auf Abschottung und ist buchstäblich ein Igel zum Anfassen. Und wer weiß, vielleicht will er sogar ein richtiger Kuscheligel werden. All das macht ihn potentiell zum Vorbild für alle Igelinnen und Igel, die immer noch festhalten an ihren furchteinflößenden Outfits und ihrer abweisenden Körpersprache. Doch sie alle brauchen Hilfe beim Abbau ihrer Vorurteile gegen die vermeintlich so feindliche Umwelt. Und beim Aufbau von Vertrauen. Denn nur ein solches Vertrauen kann alle Igel befähigen, sich ihre unzeitgemäßen Stachelpullis aus freien Stücken vom Leibe zu reißen.
 

© Detlef Färber